Gottesdienst

 

Predigt zum Sonntag Kantate, 18. Mai 2025 in Carvoeiro

Pastorin i. R. Thekla Röhrs

 

Der Friede Gottes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde!

Ein Mann - im Gefängnis, ein den Sicherheitsdiensten bekannter Schriftsteller und Regimekritiker –

verurteil zu 4 2/1 Jahren „Verschärften Strafvollzugs“ – offizieller Vorwurf: Rowdytum. Der wirkliche Grund: Sein Einsatz gegen das Herrschende Regime. Sein Kampf  für Hoffnung und Freiheit in seinem Lande. Er ist 43 Jahre alt. Der einzige Kontakt nach außen sind Briefe an seine Frau. In einem seiner Brief erzählt er ihr von einer Erfahrung, die ihn selbst erstaunt hat: Inmitten von Gefängnismauern,

umgeben von Stacheldraht und entwürdigendes Verhalten der Gefängniswärter spürt er in sich eine tiefe Freude. Er schreibt: „Uferlose Freude, dass ich lebe – uferlose Freude, dass mir gegeben war,

all das zu durchleben, was ich durchlebt habe, und dass dies offenbar irgendeinen tieferen Sinn.“

So nachzulesen in einem Brief von Vaclav Havel an seine Frau Olga.

Havel war Mitbegründer der Charta 77. Einer Bürgerrechtsbewegung, die zum Zentrum der Opposition in der Tschechoslowakei wurde. Er schrieb und demonstrierte seit den 60er Jahren

für Menschen- und Bürgerrechte, für Freiheit und Demokratie. Mehrmals saß er deswegen im Gefängnis. Nach der „Samtenen Revolution“ 1989, dem vorwiegend gewaltfreien Übergang der Tschechoslowakei in eine Demokratie, wurde Vaclav Havel ihr erster Präsident.

Von Vaclav Havel wird gesagt, dass er kein Träumer war. Ein Realist, mit einer großen Liebe zum Leben. Von ihm stammt der Satz

Hoffnung ist nicht die Überzeugung,

dass etwas gut ausgeht,

sondern die Gewissheit,

dass etwas Sinn hat,

egal wie es ausgeht.“

Vaclav Havel fiel mir ein, als ich den Predigttext für den heutigen Sonntag zum ersten Mal gelesen habe.

Was war aber Paulus und Silas passiert?

In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass die beiden auf ihren Missionsreisen auch durch die römische Kolonie Philippi gekommen waren. Dort hatten sie ein junges Mädchen geheilt, das einen Wahrsagergeist hatte und damit ihren Herren viel Geld eingebracht hatte. Das diese Einnahmequelle versickert war, gefiel manchen nicht und deshalb wurden Paulus und Silas geschlagen, misshandelt

und ins Gefängnis gebracht. Vorgeworfen wurde ihnen, dass sie mit ihren Reden die Bevölkerung zur Aufruhr anstiften würden und dass sie gegen die Rechte und Traditionen der Einheimischen

verstoßen.

Gefängnisse waren in der Antike keine angenehmen Orte. Das sind sie auch heute nicht. Aber die Haftbedingungen in antiken Gefängnissen waren verglichen mit heutigen - jedenfalls bei uns –

ausgesprochen hart. Ernährung, Hygiene, körperliche Züchtigungen muss man sich also - für unsere Maßstäbe – geradezu unerträglich vorstellen. Die Apostelgeschichte lässt das auch anklingen,

wenn sie die harten Schläge erwähnt, mit denen Paulus und Silas gezüchtigt wurden, und berichtet,

dass sie ins Innerste des Gefängnisses geworfen wurden, sozusagen: in den Hochsicherheitstrakt.

Dazu noch wurden ihre Füße in einen Block gesteckt, damit sie sich nicht bewegen konnten. Hoffnungsloser kann eine Lage kaum sein.

Um Mitternacht beginnen Paulus und Silas zu beten und Gott zu loben. Vermutlich haben sie gesungen. Denn in der antiken Welt des Judentums war das nicht unüblich. Was die beiden gesungen haben, wissen wir nicht. Aber sie lobten dabei Gott. Als alle anderen schliefen, sangen sie. Vielleicht kurzatmig. Mit Striemen und blauen Flecken. Blutend. Sangen sie ihr Lied.

In meiner Phantasie höre ich die Töne, die nachts aus dem Kerker dringen. Ich höre sie trotzig und klagend, ja, sogar fröhlich. Sie singen für Gott und für die Mitgefangenen. Das Lied hat Kraft, ein Protest gegen Willkür und Gewalt. Sie beugen sich nicht. Paulus und Silas bezeugen: unsere Hoffnung lebt!

2000 Jahre später. Eine andere Zeit. Und wieder Gewalt. Wieder ist der Ort einer von Gefangenen.

Und auch dort erklingt Musik. Mit dem Dennoch der Hoffnung und des Widerstands. Ich denke an das KZ Theresienstadt. Musik, die das Grauen überdauerte: Victor Ullmann (1898-1944, ermordet in Auschwitz) schreibt dort seine Lieder der Tröstung und zwei hebräisch-chassidische Chöre.

Ein Text lautet:
Wir kommen heim in das Land mit Liedern und Gesang.

We are coming home to the land sing our songs.

Anu olim arza. La, la, la.

Das Lied des Glaubens verändert die Situation. Während Paulus und Silas singen, geschieht etwas Erstaunliches: Während ihr Lied klingt, bebt die Erde. Gefängnismauern fallen, Türen schlagen auf,

die Verankerungen der Fesseln lösen sich, die Gefangenen sind frei.

Das weiß auch der Kerkermeister, der für sie verantwortlich ist und ihre Flucht vermutlich mit Folter,

Freiheitsentzug und dem Leben bezahlen wird. Die Selbsttötung scheint ihm der einzige Ausweg

zu sein. Doch Paulus und Silas fliehen nicht. Sie nutzen die Gunst der Stunde nicht. Sie bleiben

und erlösen den Kerkermeister von seiner Angst. „Tu dir nichts, wir sind alle hier.“ Der Kerkermeister entzündet eine Kerze. Fällt hin. Zittert. Der grad noch grausame Mann wirft sich Paulus und Silas zu Füßen. Er traut seinen Augen kaum. Sie sind tatsächlich noch da. Und das, was er sieht, und das,

was Paulus und Silas zu ihm sagen, löst geradezu ein weiteres Erdbeben aus. Dieses Mal im Kerkermeister selbst: Der Kerkermeister führt Paulus und Silas hinaus. Die Kerze in der Hand.

Erschüttert von der Veränderung, die geschehen ist, fragt er: „ Was soll ich tun, dass ich gerettet werde?“

Es ist, als ob er intuitiv den Zusammenhang herstellt zwischen der inneren Freiheit dieser beiden Menschen und dem Erdbeben. Er scheint zu spüren, dass sie von einer Kraft getragen sind, die mehr vermag als Fesseln und Mauern. Einer Kraft, die Mauern fallen lassen kann und Berge versetzen.

Paulus antwortet: Du musst nichts tun. Keine Selbstanzeige vor Gericht. Keine Demutsübung vor uns.

Glaube an Jesus Christus als Herrn. Er ist dein Kyrios, dein Cesar, dein Augustus, nein: dein Gott.

Dann wirst du gerettet. Für immer. Und dein ganzes Haus noch mit dir! Und so geschieht es:
Er lässt sich taufen. Er wird „abgewaschen“ von allem, was ihn in Ketten legte. Und dann wäscht er die Striemen der Folter von Paulus und Silas. Am Ende gibt es ein Fest. Die Klänge der Freude

breiten sich aus in einem Haus, das vorher kalt war von Pflichterfüllung und Gewalt. Die Familie wird mitgetauft, sie feiert etwas ganz Großes: den Beginn eines neuen Lebens.

Und wir?

So leicht fällt es mir nicht, die Geschichte von Vaclav Havel und von Paulus und Silas auf mich,

auf uns hier zu übertragen. Denn meine Freiheit war nie bedroht. Ich durfte immer sagen, was ich denke und durfte eintreten, wofür ich stehe. Dabei weiß ich sehr wohl, dass das nicht selbstverständlich ist. Beispiele für diese Realität, die nicht meine ist,

gibt es im Laufe der Kirchengeschichte viele. Und auch heute noch gibt es zu viele Orte,

an denen Christinnen und Christen verfolgt werden und ins Gefängnis geworfen.

Die frühere Vorsitzende und Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann sagt: „Das Menschenrecht der Religionsfreiheit nimmt für unsere Kirche einen besonderen Stellenwert ein. Es wird immer wieder eingeschränkt und bestritten. Vor allem Angehöriger religiöser Minderheiten leiden auch in unserer Zeit unter massiver Bedrängnis. In Deutschland ist uns das oft nicht bewusst. Aber wer Christinnen und Christen in Indien besucht oder in Indonesien, wer Berichte hört von der Lage in Pakistan oder im Irak, dem wird deutlich, wie hoch das Gut der Freiheit in unserem Land ist. Der Apostel Paulus hat uns dazu angehalten, Gutes zu tun „allermeist an des Glaubens Genossen.“ Das geschieht,

indem wir uns für verfolgte Christinnen und Christen einsetzen in Wort, Tat und vor allem der Fürbitte.

Dabei verlieren wir die Religionsfreiheit der Angehörigen anderer Religionen nicht aus dem Blick.“

Auch viele ältere Bürgerinnen und Bürger hier in Portugal können darüber erzählen, was es  bedeutet,

die eigene Meinung nicht sagen zu dürfen.

Also wer bin ich, deren Freiheit nie bedroht war, über diesen Text zu predigen? Ich habe viel zu viel Achtung vor der Situation von Vaclav Havel, vor Paulus und Silas und den so vielen Gefangenen unserer Zeit, die für Gerechtigkeit und Menschenrechte eintreten, als das ich diesen Text auf mich/auf uns beziehen kann.

Vielmehr fordert mich die Geschichte von Paulus und Silas auf, mich zu fragen, wofür mein Herz

so sehr brannte, das ich gar nicht anderes tun konnte als mich dafür stark zu machen? Unabhängig davon, was die anderen Menschen über mich denken. Unabhängig davon, welche Folgen mein Einsatz für mein persönliches Leben, vielleicht auch für die berufliche Karriere, haben könnte?

Zu dieser Frage gehört dann aber auch eine 2., nämlich die Frage: Was hat mich gestärkt, dass ich Das so tun konnte, wie ich es getan habe? War es ein tiefes Gottvertrauen und die Zuversicht auf Jesus Christus, wie bei Paulus und Silas? War es das Beten – leise oder mit kraftvoller Stimme,

allein oder mit anderen. Vielleicht das Singen, wo auch immer? War es das Spüren und Wissen,

„dass Hoffnung nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit,

dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“?

Wofür auch immer wir uns stark machen, wofür auch immer wir eintreten, mit dem, was uns in unserem Herzen bewegt, wir lassen unsere Stimmen laut werden - mit Paulus und Silas -

als Christinnen und Christen. Auch wir bezeugen mit unseren Stimmen, dass dort, wo Gott wirkt,

Wunderbares geschieht. Wo Jesus Christus wirkt, außergewöhnliches möglich ist. Auch wir können

wie Paulus und Silas fest halten an der Hoffnung auf das Reich Gottes. Auch wir können berührt bleiben von der Freude über das Leben. Weil es der Friede Gottes ist, der unsere Herzen und Sinne

bewahre in Jesus Christus. Amen.

 


 

Taufpredigt zu Matthäus 28, 16-20 – Carvoeiro, 11.Mai 2025
(Anmerkung: Im Gottesdienst wurde ein 26-jähriger Erwachsener getauft).

Pastor i. R. Ulrich Krause-Röhrs

 

Am Ende des Matthäusevangeliums hält Jesus eine kurze Grundsatzrede. Man nennt das den „Taufbefehl“, für mich klingt das eher nach einem Arbeitsauftrag für die Jünger, einer kurzen „To-Do Liste“. Die Voraussetzung für die To-do Liste ist:
„Gott hat mir alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben“.
Das ist die Basis und von dieser Basis aus sollen die Jünger handeln.
„Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen.  
Taucht sie ein in den Namen Gottes, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Und lehrt sie alles, was ich euch aufgetragen habe, zu tun“.
Menschen aller Völker sollen also lernen, den christlichen Glauben zu leben. Zuerst taufen – und dann den Menschen beibringen das zu tun, was Jesus gesagt hatte.
Was bedeutet das: für Diego, der heute getauft wurde – und für die unter uns, die getauft sind?
Ich möchte das entlang der 5 Buchstaben des Wortes TAUFE erklären.

Der erste Buchstabe „T“ steht für „Talent“.
Das bedeutet ganz einfach: Ich bin gemeint mit meiner Taufe! Jeder Einzelne jeweils mit seinen Begabungen und Fähigkeiten. Das meint das Wort „Talent“.
Ich, Du, Sie sind als Getaufte gemeint. Wir mit unserem Leben: ob wir Sport machen, arbeiten, lieben, Nachbarn oder Freundin sind. Ich bin gemeint, wo immer ich lebe, mit allem, was ich tue. Als Kassierer oder Richterin, Kfz-Mechanikerin, Fondsmanager, Pastor, Krankenschwester oder Präsidentin.
Taufe und Talent meinen: lebe in allen Bereichen deines Lebens dein Christ-sein! Mit deinen Talenten und durch die Art wie Du lebst und was Du tust, wie Du mit Geld umgehst, über und mit anderen sprichst.
In den ersten christlichen Gemeinden bedeutete das: eine revolutionäre Gemeinschaft der Gleichen, in der jeder mit seinen Begabungen seinen Wert hatte. Eine Gemeinschaft der Gleichen, die damals unvorstellbar war in einer ansonsten völlig hierarchischen Gesellschaft.

Der zweite Buchstabe „A“ steht für Antenne.
„Taucht sie ein in den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Durch das Eintauchen gehören wir dazu: Gehören zu Gott, Christus und zum Heiligen Geist. Sind Kinder Gottes.
Christlicher Glaube läuft dann in uns aber nicht von selbst ab. Wir sind nicht auf Autopiloten gestellt! Kümmern müssen wir uns um unser Christ-sein schon.
Dazu haben wir durch unsere Taufe etwas vom heiligen Geist in uns. Einen Teil, ein kleiner Funke. Wie eine Antenne. Durch unsere Antenne sollen wir die Dinge zwischen Himmel und Erde verstehen und orten. Um unsere Antenne müssen wir uns kümmern, sonst verstaubt sie. Sonst verflüchtigt sich der Kontakt zwischen uns und Gott. Verdunstet. Die Kontaktflächen korrodieren und rosten.
Wenn wir beten, ist das ein Kontaktversuch. Wenn wir einen Bibeltext lesen und darüber nachdenken, kann Kontakt entstehen. Wenn biblische Worte in uns Wurzeln schlagen, uns dazu bewegen uns für oder gegen etwas stark zu machen. Wenn wir mit anderen darum ringen, wie die biblischen Worte
auch wissenschaftlich zu verstehen sind – Kontakt. Die Wartung dieses Kontaktes zur Schaltzentrale der Welt liegt auch in unserer Hand.

Der dritte Buchstabe: „U“ steht für „Untertauchen“
Zur Zeit Jesu wurden die Menschen in Flüssen, Seen und im Meer getauft. Das gibt es bis heute: Dreimal wird ein Mensch dabei unter Wasser getaucht. Das bedeutet: das alte Leben stirbt – ein neues Leben beginnt.
In Gott!
Das klingt bedeutungsschwer – und so empfanden es Menschen auch im Laufe der Zeit. Sie bekamen Angst davor, Fehler zu machen in diesem „neuen Leben“. Und deshalb ließen sich immer mehr Menschen immer später taufen, am liebsten erst auf dem Sterbebett, wenn man nicht aufstehen konnte und nicht mehr viele Atemzüge hatte. Dann konnte man nichts mehr falsch machen. Die Idee war: das weiße Taufgewand blieb dann unbefleckt.
Das war dann das Gegenteil von dem, was Jesus gewollt hatte: dass jeder sein Gottvertrauen und die Werte Gottes in dieser Welt lebt, solange man in dieser Welt lebt!
Die dreimalige Berührung mit Wasser in unserer heutigen Taufpraxis  erinnert an das Untertauchen im Meer. Gemeint ist das Gleiche: ein Neubeginn im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Der vierte Buchstabe „F“ steht für „Fehlerfreundlichkeit“.
Gemeint ist damit die Fehlerfreundlichkeit Gottes!!
Wir machen als Menschen immer wieder Fehler, auch wenn wir das nicht wollen – manchmal schämen wir uns später dafür, Menschen verletzt oder zurückgelassen zu haben.  
Gott und Jesus sind Fehlerfreundlich und Fehlerfreundlicher als wir!
Sie kennen vielleicht die biblische Geschichte: ein Jünger fragt Jesus: „Wie oft soll ich meinem Bruder eigentlich vergeben – sieben Mal?  
Jesu Antwort: „7 x 70-mal!“.
Keiner von uns nimmt das wörtlich und führt Strichliste! Und sagt sich nach 490 mal Vergebung, dass es jetzt gut damit sei. Offensichtlich rechnen Gott und Christus mit unseren Fehlern! Und wir beten im Vater Unser auch jedes Mal: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Also: vergib 7 x 70-mal! Und bitte um Vergebung.

Der letzte Buchstabe „E“ steht für „Entscheiden“.    
Unsere Entscheidung: als Getaufte unser Christsein zu leben!  Zum Beispiel unseren Taufspruch zu leben und in unser heutiges Leben zu übertragen. Kennen Sie Ihren Taufspruch?!?
Die Inhalte des christlichen Glaubens von unserem Taufspruch her aufschlüsseln. Davon ausgehend uns mit den Inhalten des christlichen Glaubens auseinandersetzen und die Inhalte des christlichen Glaubens in unser aktuelles Leben hinein übersetzen.   
Gottesliebe. Nächstenliebe. Barmherzigkeit: was bedeuten diese zentralen Begriffe für unser Leben in unserem Land und in dieser Welt heute?
Wie lebe ich, wofür setze ich mich ein – wenn Christus alle Macht dieser Welt hat und es ihm um „alle Völker“ geht?
Welche Rolle spielen „Erbarmen“ und „Arme“ – wenn das zentrale Wörter und Inhalte der biblischen Texte sind?
Der Taufspruch von Diego lautet: „Lebt als Kinder des Lichts. Und die Frucht des Lichts ist lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“ (Epheser 5, 8b.9).
Seinen Taufspruch zu leben, ist von seiner Taufe her ein Auftrag an ihn.
Die Frage ist: wie mache ich das? Wie lebe ich als Kind des Lichts? Welche Bedeutung haben in unserer Zeit Werte wie Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit? Wie lebe ich das – wie leben wir das?

Am Ende dieser Predigt möchte Diego und uns allen einen Text an die Seite stellen, in dem es darum geht, wie Menschen Licht sein können. Der Text  gehört für mich zu den schönsten Texten, die darüber geschrieben wurden.
Es sind Worte von Nelson Mandela, die dieser 1994 bei seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas sagte:

 „Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht,
dass wir ungenügend sind.
Unsere tiefgreifendste Angst ist,
über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein.

Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit,
die uns am meisten Angst macht.

Wir fragen uns, wer bin ich, mich brillant,
großartig, talentiert, phantastisch zu nennen?

Aber wer bist Du, Dich nicht so zu nennen?
Du bist ein Kind Gottes.
Sich selbst klein zu halten,
dient nicht der Welt.

Es ist nichts Erleuchtendes daran, sich so klein zu machen,
dass andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen.

Wir sind alle bestimmt, zu leuchten,
wie es die Kinder tun.
Wir sind geboren worden,
um den Glanz Gottes, der in uns ist, zu manifestieren.
Er ist nicht nur in einigen von uns, er ist in jedem Einzelnen.

Und wenn wir unser eigenes Licht scheinen lassen,
geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.

Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind,
befreit unsere Gegenwart automatisch andere“.
Amen

 


 

Der gute Hirte – Predigt zu Johannes 10,11-16. 27-30
Carvoeiro am 4. Mai 2025

Ulrich Krause-Röhrs, P. i. R.

 

Der Predigttext handelt vom „Guten Hirten“ – eigentlich ein schönes Bild, auch wenn wir keine Schafe sind. Wir dürfen nicht vergessen: Jesus benutzte dieses Sprachbild in einer Zeit, in der die meisten Menschen nicht lesen konnten – das Bild aber verstanden alle. Weil alle damals täglich Hirten sahen und ihre Tiere (z.B. Schafe), die ihnen folgten.

Wir hörten das Bild vom „guten Hirten“ in unendlich oft und sehen in unseren Köpfen vielleicht auch gleich die gemalten Bilder dazu. Die ersten Bilder des Christentums zeigen Jesus als Hirten und auch in späterer Zeit wurde dieses Motiv immer wieder aufgenommen. Mir waren diese Bilder oft zu lieblich, ich konnte damit nicht so viel anfangen. Das Christusbild hier in unserer Kirche finde ich schöner, aber das ist sicher Geschmackssache.
 
Die Aussagen Jesu zu sich als „gutem Hirten“ im Predigttext, die höre ich sehr gerne! Als ich den heutigen Text las, dachte ich zuerst: Hm, kennen wir das nicht alles schon?!? Als ich ihn dann verlangsamt las, entdeckte ich eine Reihe von Perlen, die wir gut in unserem Lebensrucksack brauchen können!
Christus kann das von sich sagen, was er sagt! Bei jedem anderen, der das von sich behauptete, wäre es absurd. Christus aber stand mit seinem Leben für das ein, was er sagt. Einige der Perlen sind: Ich bin der gute Hirte! Ich will orientieren! Ich kenne die Meinen – also Sie, Dich und mich! Ich lasse mein Leben für die, die zu mir gehören – und haue nicht ab bei Gefahr. Wenn der Wolf kommt, bleibe ich und mache mich nicht als erster vom Acker! Ich bin verlässlich! Ich höre meine Schafe – und sie hören mich!

Dieses Bild vom guten Hirten kann ein schönes Bild sein, es kann aber auch missbraucht werden – und wurde oft missbraucht.
Zunächst einmal wurde vom Bild des guten Hirten über die Jahrhunderte die Rolle der kirchlichen Amtsträger abgeleitet und definiert. Die Aufgabe von katholischen Priestern und protestantische Pastoren, später auch Pastorinnen wurde damit beschrieben: Sie galten als die Hirten ihrer Gemeinden und dieser „Hirtendienst“ war von Jesus abgeleitet. Die Vorstellung dahinter war, dass Jesus Christus selbst auf diese Weise in den Priestern und Pastoren wirksam sein würde. An sich eine schöne Aufgabe!
Wenn wir aufrichtig sind, unterschlagen wir nicht die Schattenseiten des Hirtenbildes: die versuchte Kontrolle über die Schafe, die religiöse Macht-ausübung und den Missbrauch. Jeder hat vielleicht Beispiele vor Augen, wie aus „Fürsorge“ der Versuch von Beherrschung wurde. Wie Menschen  gede-mütigt wurden im Namen der Barmherzigkeit und der Moral. Aus „Ich kenne die Meinen“ wurde Bespitzelung, Überwachung und Kontrolle der „Seinen“. Leider gibt es in der Geschichte des christlichen Glaubens viele Beispiele für religiösen Missbrauch – und der Missbrauch des Hirtenbildes reicht bis zur sexualisierten Gewalt: mit der Befriedigung eigener egozentrischer Bedürfnisse unter dem Deckmantel der Fürsorge. Unter Ausnutzung des Vertrauens von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – die allesamt Schutzbefohlene waren! Schutzbefohlene – welch wahrer Begriff!    

Dieser Machmissbrauch ist das Gegenteil dessen, wovon Christus spricht:
Sein Hirtendienst war für die Menschen. Die Geschichten in den Evangelien spiegeln die Art und Weise seines Dienstes und Umgangs mit Menschen.  Der springende Punkt dabei ist: wenn Jesus davon spricht, dass er die Seinen kennt, also uns – dann ist mit diesem „Kennen“ ein Erkennen der Liebe gemeint. Liebe aber bedeutet, dass kein Zwang ausgeübt wird und die Freiheit des anderen respektiert wird. Deshalb spricht Jesus auch vom verlorenen Schaf nicht herablassend, sondern wertschätzend. Genauso behandelt er Menschen nicht wie Schafe. Diesen Unterschied müssen wir schon kennen, sonst wenden sich Menschen von uns ab und wir laufen in die Irre.
Vor drei Wochen erwähnte ich Dietrich Bonhoeffer in meiner Predigt: ein „Hirte“ im Sinn von: geistlich – intellektuelle Leitfigur in schwerer Zeit.
Heute möchte ich an eine Theologin erinnern, deren Todestag der 27. April 2003 ist, vor einer Woche also: Dorothee Sölle.  Für viele ist diese Theologin eine gute „Hirtin“ gewesen, obwohl sie das nie sein wollte. Eher eine Lehrerin. Dorothee Sölle war über Jahre die meistgelesene Theologin Deutschlands und zeitweise sogar die meistgelesene deutsche Schrift-stellerin überhaupt. Als theologische Schriftstellerin und Rednerin war sie weltweit bekannt. Sie suchte nach einer neuen Sprache in Theologie und Kirche und eine neuen Protestantismus.
Die Titel einiger Bücher geben die Richtung an: in dem Kinder- und Jugendbuch „Nicht nur Ja und Amen“ macht sie Mut zu einem persönlich verantworteten Christsein. Mit einer frechen Sprache wollte sie Mut machen: nicht nur einfach mitgrasen in der Herde, kämpferisch sein, Fragen stellen, sich nicht ducken, aufrecht sein.
„Das Recht, ein anderer zu werden“ beschreibt auf gute Weise die Suche nach der eigenen Person – und das Recht dazu.
Das Buch „Die Hinreise“ beschreibt einen Weg der Suche in der Religion. Glaube als Weg: um nicht nur aus der Tradition und der Wiederholung des Bekannten zu leben. Sondern die je eigene Aneignung des Glaubens auf einem auch mystischen Weg zu versuchen.    
Darüber hinaus schrieb sie einige für mich wunderbare Gedichtbände. Insgesamt veröffentlichte sie etwa 30 Bücher. Christus beschrieb sie dabei als „guten Lehrer“, der die Schüler nicht an sich bindet, sondern ihnen Chancen des Lernens bietet, an denen sie selbständig und frei wachsen sollen.
Ihre eigenen „guten Lehrer“ beschreibt sie so: `sie belügen mich nicht, ob sie mich loben oder kritisieren. Ich darf fragen und bekomme Antworten. Meine Lehrerin hält auch meine frechen Fragen aus. Ich kann mich darauf verlassen, dass er oder sie mich etwas lehren wollen – und sie mir das, was sie sind, geben wollen.  Wer solche Lehrer erlebt hat, der versteht mehr, was unser Text meint.

Zum Schluss nochmal zurück zum Text vom guten Hirten:
Jesus sagt – wie gesagt – wunderbare kleine Sätze, die für unseren Lebensrucksack wichtig sein können: ich kenne die Meinen! Ich bin verlässlich! Gott und ich lassen niemanden fallen, keiner fliegt raus. Ich höre die Meinen und sie hören mich! Und dann spricht er noch davon, dass es noch andere Schafe gibt und dass er alle Herden zusammenführen will.

Wir sind also Viele! Alle haben ihren eigenen Glauben, wir kommen aber nicht aus dem gleichen Stall. Die anderen hören aber auch seine Stimme – und das ist das Entscheidende: es geht nicht darum, ob ich zu einer bestimmten Kirche gehöre, aus einem bestimmten „Stall“ komme und einen besonderen „Stallgeruch“ verströme, sondern ob ich seine Stimme höre! Ob ich sie z.B. höre in dem, was ich in Predigten höre. Auch wenn mir das nicht passt. Ob ich sie höre in dem, wie andere Christen sich verhalten und in dem, was ich mit Christen und anderen Menschen erlebe.
Eine Frage läuft dabei mit: ob ich wahrnehmen und anerkennen kann, dass die anderen ja nun auch den Anspruch haben, auf Jesu Stimme zu hören. Das stellt unsere persönlichen Wahrheiten infrage!
Unser Text ist damit eine Aufforderung für die Ökumene. Ein Appell, sich in der Gemeinschaft der Glaubenden zu bewegen und auseinanderzusetzen. Sich einzumischen in die Gemeinschaft der Glaubenden und Suchenden, über die Grenzen der Konfessionen, Kulturen, Länder und Hautfarben hinweg.
Mittendrin dabei die Stimme Christi zu hören, ist dabei immer auch eine Herausforderung: weil keiner von uns den Anspruch erheben kann, die Stimme Jesu und die Wahrheit exklusiv gepachtet zu haben. Auch die, die uns fern erscheinen, die Andersgläubigen, die, mit denen wir im Streit liegen, die Fundamentalisten, die kirchenkritische Freundin –     vielleicht haben sie ja etwas besser als ich verstanden.

In diesem Moment geht gerade in Deutschland der „Deutsche Evangelische Kirchentag“ in Hannover“ zu Ende. Dort sind Viele! Ich weiß nicht, ob sie mal auf einem Kirchentag waren. Ich war auf fast 20. Der Ev. Kirchentag ist ein herausragendes Forum der Auseinandersetzung und Kommunikation von Themen auf allerhöchstem Niveau. Fachleute aus allen möglichen Wissenschaftsbereichen kommen zusammen: Theologie, Ethik, Wirtschaft, Politik und diskutieren mit Menschen, die sich auseinandersetzen wollen. Allein 100.000 Dauerteilnehmer kommen zu einem Kirchentag, dazu kommen Zehntausende für ein oder zwei Tage dazu. Meines Wissens ist das größte Messe Deutschlands! HIER setzen sich Menschen auch damit auseinander, ob sie SEINE Stimme hören. Inmitten eines auch wissenschaftlichen Anspruchs.

Wir müssen alles immer wieder durchbuchstabieren: für uns selbst und in jeder Gemeinde. Wir müssen seine Stimme immer wieder mit anderen Menschen und in anderen Situationen suchen und besprechen.
Ja, das ist anstrengend! Bringt aber frische Luft und kann vor Versteinerung bewahren. Und hilft uns: die „guten“ Lehrer und Hirten zu identifizieren.

Amen

 


 

 

 

 

 


DEKA – Deutschsprachige evangelisch-lutherische Kirchengemeinde im Algarve. E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.; Web: www.deka-algarve.com; Kommissarische Vertretung durch die stellvertretende Vorsitzende: Traute Finken, Tel.: 965770037.
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Unsere Gemeindearbeit finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Wir freuen uns über jede Spende auf unser Konto IBAN : PT50 0045 7063 4029 9611 0208 7 - BIC CCCMPTOL


 

 

Wir wünschen allen ein frohes, gutes neues Jahr 2025

 

Jareslosung 2025 1.Thessalonicher 5,21

Prüfet alles und behaltet das Gute!
πάντα δὲ δοκιμάζετε, τὸ καλὸν κατέχετε
julgai todas as coisas, retende o que é bom

Diese Worte aus dem ersten Thessalonicherbrief begleiten uns als Jahreslosung durch das Jahr 2025. Prüfet alles. Nichts müssen wir hinnehmen, verlangt wird kein Gehorsam und keine unterwürfige Folgsamkeit. Alles darf auf Herz und Nieren geprüft werfen, jeder Stein darf umgedreht werden. Das ist nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern wir werden dazu sogar ermutigt!
Prüfet alles und behaltet das Gute! Das verlangt Fokussierung; denn es ist nicht gleich-gültig, wie wir uns entscheiden und handeln. Es gilt zu prüfen, zu untersuchen, zu analysieren. Was war gut, was ist gelungen? Worauf können wir aufbauen? Was war hinderlich? Was hat geschadet, was dem Wohl anderer gedient? Eine solche Prüfung braucht Zeit, denn nach Möglichkeit soll niemandem unrecht geschehen. Angesichts der medial sich ständig beschleunigenden Welt bleibt zu erinnern: Schnelligkeit ist kein Wert an sich.
Prüfet alles und behaltet das Gute! Als Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde diesen Satz schreibt, gibt es noch kein Neues Testament, keine Evangelien, keinerlei kirchliche Strukturen. Paulus ist auf einer seiner beschwerlichen Missionsreisen im östlichen Mittelmeerraum unterwegs. Er will die Menschen – Heiden wie Juden - von Christus überzeugen. Darum gründet er Gemeinden und besucht die Menschen. Häufig trifft er auf Fragen und Probleme, die den neuen Glauben betreffen: Wie lange müssen wir noch auf die Wiederkunft Christi warten? Was ist mit denen, die schon vor der Wiederkunft gestorben sind? Wer hat in der Gemeinde das Sagen? Gelten die alten Speisegebote noch? Auch in der Gemeinde in Thessaloniki, einer großen Hafenstadt mit Menschen “aus aller Herren Länder” gibt es Fragen. Paulus weiß: Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Sprachen, Lebensgewohnheiten und Religionen beieinander leben, ergeben sich Spannungen beinahe automatisch. Da braucht es Toleranz und Aufgeschlossenheit, Interesse aneinander, guten Willen und Geduld. Man muss sich gegenseitig kennenlernen und miteinander sprechen, einander befragen. Paulus, der ehemalige Christenverfolger und nun Anhänger Jesu Christi, hat am eigenen Leib erfahren,
Dass Menschen gut daran tun, Neuem, Fremdem mit Offenheit zu begegnen. Denn auch andere Meinungen als die eigene, auch andere Einstellungen und Traditionen können ihren Wert haben und berechtigt sein. Nicht alles, wovon man selbst überzeugt ist, was man denkt oder tut, ist gut oder richtig oder taugt gar als Maßstab für andere. Paulus ist davon überzeugt, dass es richtig und wichtig ist, zunächst zu sehen, zu hören und wahrzunehmen; die Vielfalt zu erkennen und anzuerkennen. Erst im zweiten Schritt gilt es zu überlegen, an welchen eigenen Überzeugungen man festhalten will, und was von anderen man sich zu eigen machen will. Die Jahreslosung weitet unseren Blick und macht Mut: Die Welt ist vielfältig, und Vielfalt ist Reichtum. Wer sich mit dieser Vielfalt beschäftigt und wohlwollend prüft, was ihm begegnet, macht sich ein Bild von dem, was und wie andere glauben, leben und lieben. Andere(s) dabei gelten zu lassen zeugt von eigener Selbsterkenntnis und ist der Schlüssel zu einem guten Leben - für sich, für andere und für die Gemeinschaft.

Anne Peters-Rahn, Pfarrerin i.R. 

Pfarramt, Urb Sesmarias, Lote 84, 8400-565 Carvoeiro Mob 960244439 Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

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